Dem Geheimnis auf der Spur

ZiS-Stiftung vergibt Stigendien

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Von Björn Hartmann

16. Jan. 2024 –

Für Anselm Kiefer ist diese Reise 1963 etwas Besonderes. Der 18-jährige wandelt auf den Spuren von Vincent van Gogh durch die Niederlande und Frankreich – finanziert mit einem Stipendium. Wenn sich der deutsche Maler und Bildhauer heute erinnert, spricht er von seiner „Initiation“, der Einführung in eine neue Welt. Mit seinen Eltern sei er nie gereist, das sei nicht möglich gewesen. Inzwischen ist Kiefer einer der teuersten und wichtigsten deutschen Künstler. Die Stipendien für Jugendliche gibt es heute noch und sie sind offen für alle.

Hinter dem Programm steht die gemeinnützige ZIS-Stiftung für Studienreisen. Die Bedingungen sind einfach: Bewerben können sich Jugendliche zwischen 16 und 20 Jahren. Nötig ist eine Idee, ein Thema für die Reise. Sie muss ins Ausland gehen, mindestens vier Wochen dauern. Gereist wird allein. Die Stiftung gibt 700 Euro, die alle Ausgaben decken sollen.

Nicht jeder oder jede muss berühmten Künstlern des 19. Jahrhunderts nachspüren. Bisher tauchten die Stipendiaten zum Beispiel ein in die Clubszene der georgischen Hauptstadt Tiflis, verfolgten den Weg der Wolle vom Schaf zum Pullover auf den Färöer-Inseln, stöberten durch Bunker an der französischen Atlantikküste, erkundeten die queere Szene Polens oder dokumentierten Streetart in Portugal. Mehr als 2200 Jugendliche waren bereits mit ZIS unterwegs, Kiefer ist sicher der berühmteste Stipendiat.

Zwei wichtige Regeln gelten: Das Budget muss eingehalten werden, und Fliegen ist nicht erlaubt. Der Vorteil: Wer 36 Stunden im Bus nach Istanbul sitzt, knüpft vielleicht schon Kontakte, die vor Ort helfen. Die Stipendiensumme ist bewusst knapp bemessen – zwingt dazu, praktisch ins Land einzutauchen. Die Jugendlichen sollen sich private Unterkünfte suchen. Manchmal ist die Nacht kostenlos, vielleicht lässt sich auf einem Hof gegen Essen und Bett mithelfen. Und im Idealfall ergeben sich Kontakte, die weiterhelfen.

Wer reist, muss ein Tagebuch führen und es ebenso wie eine Abrechnung der Tour abgeben. Dazu kommt ein Projektbericht. Das muss kein langer Text sein. Auch Film, Ausstellung, Fotodokumentationen oder andere Formate sind möglich. Wie bei Kiefer. Der Vater, Kunstpädagoge, hat seinen Sohn für künstlerische Techniken begeistert. Und so schreibt Kiefer zwar Tagebuch, vor allem aber malt er Aquarelle, skizziert mit schwarzem Stift. Zum Beispiel einen Mann, bei dessen Familie er unterkommt. Der „Toréro après son travail“, wie das Bild heißt, wirkt markig und etwas ungeduldig. Kiefer selbst ist eher ruhig, schaut genau hin. Er verlängert seine Reise sogar, um mit den Leuten den Kontakt zu bekommen, der zum Porträtieren nötig ist, wie er schreibt.

Die Idee zu den Reisestipendien stammt aus Frankreich. Ein Lehrer, der in den fünfziger Jahren an der Schule Schloss Salem nahe des Bodensees unterrichtete, hatte sie mitgebracht. Der Schulleiter half, sie für Deutschland umzusetzen. Geld gaben Förderer, die das Projekt spannend fanden. 1956 ging es los, damals noch unter Zusammenarbeit Internationale Studienreisenstipendien, kurz ZIS. Daraus ist inzwischen eine Stiftung geworden mit eigenem Vermögen und einem Freundeskreis, der sie mit Mitgliedsbeiträgen unterstützt. Zusätzliches Geld kommt von Privatleuten und Förderstiftungen.

Auf die Ideen für die Reisen müssen die Jugendlichen selbst kommen. Sie haben die Bedeutung der Sauna für die finnische Gesellschaft untersucht, die Kommerzialisierung Gottes in Spanien oder die Vögel am Cap Ferret. Oder auf 1414 Kilometer buchstäblich erfahren, wie fahrradfreundlich Dänemark ist. Auch das Geheimnis des Knäckebrots wurde bereits gelüftet. Und trotz aller Planung verlaufen die Reisen manchmal anders als gedacht. So geriet ein ZIS-Reisender 1968 in den Prager Frühling, spürte den Aufbruch und erlebte dann russische Panzer in den Straßen.

Wer Interesse hat, kann sich online unter www.zis-reisen.de bewerben. Neben dem Thema müssen ein grob umrissenes Reisekonzept, eine erste Finanzplan-Skizze und die Empfehlung eines Lehrers, Ausbilders oder einer Gruppenleiterin eingereicht werden. Wichtig ist, dass Engagement und Interesse klar werden. Schulische Leistungen sind dagegen egal. Aus den Bewerbungen wählen die Mentoren, ehemalige ZIS-Reisende, die Kandidaten aus. Die Mentoren helfen dann auch, das Reisekonzept und die Finanzplanung auszuarbeiten. Passt alles, gibt es die endgültige Stipendienzusage.

Nach der Reise wird das Projekt von mehreren Mentoren gelesen. Es gibt eine umfangreiche Rückmeldung, nicht nur zum Bericht, sondern auch zu persönlichen Stärken und Schwächen sowie dazu, worauf die Person künftig achten sollte. Die beste Reisedokumentation wird zudem jedes Jahr ausgezeichnet. Der Preis: eine weitere Reise nach Wahl. Natürlich wieder mit einer frei gewählten Idee. Auch Kiefer hat damals mit seinem Bericht gewonnen. Und so ist er 1966 wieder unterwegs, wieder in Frankreich, diesmal auf den Spuren der Pariser Haut Couture. Und wieder zeichnet er, zeigt Models in den Kreationen von Yves Saint Laurent, Christian Dior oder Pierre Cardin für die Wintersaison 1966/67.

Kiefers Tagebücher liegen normalerweise in einem besonders sicheren und temperierten Tresor. Doch jetzt sind sie erstmals zu sehen. Das Museum Würth 2 im baden-württembergischen Künzelsau zeigt die illustrierten Berichte bis Frühjahr 2025 in der Ausstellung Terrific (kunst.wuerth.com/).

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